Michael Mary

Von wegen Venus + Mars

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Von wegen Venus und Mars

Sie ist nicht aus der Welt zu kriegen: die Mähr von den angeblich wesensmäßigen Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Dabei steht längst fest: Die Unterschiede innerhalb der Geschlechter sind weitaus größer als die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. In diesem kleinen Buch entlarve ich humorvoll und bissig die 10 größten Geschlechtermythen und zeige, dass sich Männer und Frauen hervorragend verstehen können.

Venus + Mars?
Männer und Frauen stellen füreinander unlösbare Rätsel dar, will man unzähligen Publikationen Glauben schenken. Sie würden vom Mars und der Venus stammen, heißt es, also aus völlig verschiedenen Welten kommen. Diese Welten wären vor allem biologischer Natur, sie wären in unterschiedlichen Genen und Gehirnstrukturen festgeschrieben und würden von dort aus über das Sozialverhalten der Geschlechter und über die Kommunikation von Männern und Frauen bestimmen, und natürlich vor allem über die Liebe.
Wenn dem so wäre, könnten wir es vergessen. Männer und Frauen hätten keine Chance, den biologischen Vorgaben ihres Verhaltens zu entkommen. Genetische Ausstattung und Gehirnstruktur würden sie für Jahrtausende auf ein geschlechtsspezifisches Rollenverhalten festlegen und sie blieben solange Schlösser mit sieben Siegeln füreinander, bis sich ihre Gene eines fernen Tages aneinander angeglichen hätten. Noch in 2000 Jahren würden Männer – dann wahrscheinlich ihre Raumschiffe – besser einparken und Frauen immer noch Schuhe kaufen – nur eben nicht mehr auf der Erde, sondern vielleicht auf Andromedar.
Mehr noch. Aus biologistischer Sicht ist das Rollenverhalten nicht nur genetisch bedingt, sondern sogar unverzichtbar, da es die Liebe angeblich erst ermöglicht. Das biologisch begründete Rollenverhalten der Geschlechter wird kurzerhand zur Grundlage der Liebe erklärt: gerade weil die Geschlechter unterschiedlich wären, seien sie auf die Liebe angewiesen! Jedes Geschlecht repräsentiere, weil es über ganz unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten im Vergleich zum anderen Geschlecht verfüge, eine Hälfte der psychischen Welt. In der Liebe würden sich beide Partner dann zu einer ganzen, ungeteilten Psyche vereinen.

Glaubt man solchen Unfug, dann müssen sich Männer und Frauen an ihr Rollenverhalten klammern, ansonsten würden sie der Liebe die Grundlage entziehen. Hier eine kleine Kostprobe solch merkwürdiger Überzeugungen:
„Damit eine Partnerschaft ausgeglichen und „rund“ ist, muss einer der beiden die eher „männlichen“ Eigenschaften verkörpern (d.h. Eigenschaften wie logisch, bestimmt, dominant, die wir der linken Hirnhälfte zuordnen) und der andere die eher „weiblichen“ (also Eigenschaften wie intuitiv, rezeptiv, die der rechten Hirnhälfte zugeteilt werden). Männer neigen dazu, die „männliche“ Rolle einzunehmen, Frauen hingegen die „weibliche“. Somit ist es Männern meist am wichtigsten, „respektiert“ zu werden, während Frauen „geliebt und beschützt“ werden wollen.“ (Catherine Cardinal, 10 Gebote für glückliche Paare)
Eine Beziehung und die ihr zugrunde liegende Liebe sind – folgt man solchen Erklärungen – auf die geschlechtsspezifische Verteilung männlicher und weiblicher Eigenschaften unverzichtbar angewiesen. Damit werden Liebe und Sexualität und auch die Paarbeziehung an das Vorhandensein biologischer Unterschiede geknüpft. „Wahre“, „echte“ oder „wirkliche“ Liebe einschließlich Sexualität und Partnerschaft ist dann nur zwischen den biologischen Geschlechtern möglich, nur zwischen Männern und Frauen, weil nur sie unterschiedliche Gene und Gehirne aufweisen. Nebenbei bemerkt könnten sich auch Schwule und Lesben nicht lieben, weil sie ja über gleiche Gene und Hirnstrukturen verfügt.

Um die These von den „halben“ Geschlechtern zu stützen, wird immer wieder der Mythos der Kugelmenschen bemüht, nachdem Mann und Frau in der Liebe zu einem Ganzen werden. Die Geschichte der Kugelmenschen, die von Platon geschaffen wurde, hat allerdings einen ganz beträchtlichen Haken, auf den der Soziologe Günter Burkart hinweist:
„Allein sind Mann und Frau nur halbe Menschen; erst in der Liebe ergänzen sie sich zu einem Ganzen. Doch die Sache mit den zwei Hälften – als zwei Geschlechtern – ist nicht ganz so einfach: Im Kontext der griechischen Antike ist die Liebe, von der hier die Rede ist, nicht für die Ehe gedacht, sondern beschreibt in erster Linie die Liebe von Männern zu Knaben.“
Autsch, kann man da nur sagen, der Kugelmenschenmythos war gar nicht für die gegengeschlechtliche Liebe gemeint. Ganz nebenbei wird durch die These, Liebe sei nur zwischen den Geschlechtern möglich, die gleichgeschlechtliche Liebe zu einem Irrtum der Natur erklärt und das Rollenverhalten auf ewig zementiert. Der Mann will „respektiert“ werden, ihn drängt es in die Welt hinaus, wo er Macht sucht und Autos einparkt, die Frau hingegen will „geliebt und beschützt“ werden, sie drängt es in die Läden, wo sie schöne Schuhe kauft, damit sie noch schöner wird. Beide Geschlechter können nicht anders, ihre Gene lassen es nicht zu. Und weil sie so unterschiedlich sind, können sie einander natürlich nicht verstehen.

Biologistische Erklärungen für die privaten und gesellschaftlichen Konflikte zwischen den Geschlechtern und für die Liebe mögen generell unterhaltsam sein. Offenbar genießen viele Leser und Leserinnen es, eigene Vorurteile bestätigt zu bekommen und einfach Erklärungen für Rollenverhalten zu bekommen, selbst wenn diese falsch sind. Dennoch schaden diese Thesen mehr als sie nutzen. Sie schaden vor allem deshalb, weil die Liebe durch solche Mythen in ein aus Genen und Hirnstrukturen bestehendes Gefängnis eingesperrt wird. Die Liebe hat sich an solche Zuweisungen allerdings nie gehalten, und sie wird das sicher auch in Zukunft nicht tun.
Ungeachtet dessen erfreuen sich biologisch-deterministische Sichtweisen bezüglich des Geschlechterverhältnisses momentan einer großen Beliebtheit. Wer aber glaubt, Männer und Frauen könnten sich von Natur aus nicht verstehen, der wird die Dynamik der Liebe nicht in voller Tiefe begreifen.

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